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Rückblick: ICOM Österreich Seminar „Deakzession“, 8.4.2014

04.04.2014

Tagungsbeiträge auf höchstem Niveau zu einem aktuell heiß umstrittenen Thema

 

Beim ICOM Österreich Seminar „Deakzession – Chancen und Risiken bei der Abgabe von Sammlungsgut“ am Freitag, dem 4. April 2014, im Technischen Museum Wien diskutierten über 80 nationale und internationale Expert/-innen dieses auch in Österreich hoch aktuelle Thema. Die Meinungen zum Entsammeln von Museumsgut gehen auseinander: sind doch die Bewahrung, Erhaltung und Sammlung von Objekten für die Nachwelt die zentralen Kernaufgaben von Museen. Andererseits zeigen auch die begrenzten Lagermöglichkeiten in den Depots und die hohen Erhaltungskosten die Grenzen von Sammlungstätigkeit auf. Abschließender Höhepunkt der Veranstaltung war die – von ICOM Österreich gemeinsam mit dem Österreichischen Museumsbund – veranstaltete Podiumsdiskussion zum gerade höchst aktuellen Thema „Öffentliches versus Privates Sammeln – mit der Causa Sammlung Essl als Fallbeispiel.“

 

 

Nach der Begrüßung durch ICOM Österreich Präsidentin Danielle Spera und Hausherrin und Direktorin des Technischen Museums Wien, Gabriela Zuna-Kratky, wies Prof. Wilfried Seipel in seinem Impulsreferat zur Eröffnung der Diskussion auf die ICOM Richtlinien für Museen hin, deren Einhaltung grundlegende Basis für jede weitere Diskussion sein muss:

„Museen haben die Aufgabe, ihre Sammlungen als Beitrag zum Schutz des natürlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Erbes zu erwerben, zu bewahren und fortzuentwickeln. Museumssammlungen sind ein bedeutendes Erbe der Gemeinschaft, haben in der Rechtsordnung einen besonderen Stellenwert und sind durch die internationale Gesetzgebung geschützt. Diese Verpflichtung der Öffentlichkeit gegenüber macht Museen zu Verwaltern, die den rechtmäßigen Besitz der in ihrer Obhut befindlichen Objekte, für den dauerhaften Charakter ihrer Sammlungen, für deren Dokumentation und Zugänglichkeit sowie für eine verantwortungsvolle Aussonderungspolitik verantwortlich sind.“ (ICOM, Ethische Richtlinien für Museen)

 

Doch kann die Abgabe von Sammlungsgut – streng geregelte Beurteilungsverfahren vorausgesetzt – auch eine Chance und Bereicherung für Museen sein? Frank Bergevoet - Kunsthistoriker und seit 1990 Spezialist auf dem Gebiet Sammlungsmanagement für die niederländische Kulturgüterschutz-Behörde (RCE – The Netherlands Cultural Heritage Agency) – hat die Ausarbeitung von Richtlinien für Deakzession in den Niederlanden begleitet. Bergevoet war damit auch wesentlich an der Umsetzung und der damit verbundenen Reduktion der staatlichen Sammlung beteiligt und steht dem kontrollierten „Entsammeln“ positiv gegenüber. Die Vorteile einer klaren Sammlungsstruktur durch die detaillierte Analyse und Evaluierung bestehender Sammlungen sowie die Möglichkeit des nationalen und internationalen Austausches von Museumsobjekten sind für Bergevoet Vorteile eines Deakzessions-Prozesses. Dieser muss jedoch strengen Richtlinien unterliegen und sollte ausschließlich zwischen Museen erfolgen. In den letzten Jahren wurde durch die Digitalisierung von Sammlungsbeständen in den Niederlanden versucht, einen weiteren Schritt in diese Richtung zu ermöglichen. (http://www.digitalecollectienederland.nl/).

 

 

Im Anschluss daran berichtete Dirk Heisig, Sozialwissenschaftler und Historiker und seit 2007 Leiter der Museumsakademie MUSEALOG in Emden über seine Erfahrungen bei der Entwicklung von Richtlinien zur Abgabe von Sammlungsgut in Deutschland. Er sieht einen möglichen Ausverkauf von Kulturgütern als große Gefahr bei der Deakzession. Museen könnten durch massive Kürzung der öffentlichen Subventionen zur Abgabe von Objekten gezwungen werden, um Depot-Kosten zu reduzieren. Ein Museum könnte auch zum Akteur auf dem Kunstmarkt werden, um durch den Verkauf von Sammlungsobjekten Neu-Ankäufe zu finanzieren. Auch der museale Wert der Objekte muss berücksichtigt werden: vieles ist vielleicht noch nicht ausgeforscht, eine Sammlung soll auch nicht zeitgenössischen Moden unterworfen werden. Doch gleichzeitig sind in den Depots auch viele Objekte in Gefahr, weil das Geld für Restaurierung und Instandhaltung in solchen Dimensionen fehlt. Das „Entsammeln“ kann aus Heisigs Sicht nur in einem langwierigen Prozess mit genau definierten Arbeitsschritten zur Evaluierung und im Rahmen einer - von jeweiligen Museum zu definierenden, transparenten – Sammlungsstrategie erfolgen, die sich im Grundsatz an den ICOM Richtlinien für Museen orientiert.

 

Almut Grüner vom Freilichtmuseum Neuhausen ob Eeck und ehemalige Leiterin des Thackray Medical Museum in Yorkshire  konzentrierte sich in ihrem Vortrag vor allem auf die Situation in Großbritannien, wo Museen durch „Budget cuts“ besonders in kommunaler Trägerschaft unter Druck geraten. Die Konservativen der Verwaltung in Kirklees forderten etwa, dass jene Kunstobjekte des Museum verkauft werden sollen, die nicht in der Ausstellung zu sehen sind. Solche Auswüchse sind natürlich strikt abzulehnen und stießen glücklicherweise auch auf massiven Widerstand aus der Bevölkerung. Deakzession kann nur als Mittel verstanden werden, um die Qualität von Sammlungen zu verbessern. Die Britische „Museums Association“ und das „Arts Council England“ haben 2008 einen „Disposal Toolkit“ entwickelt, der Museen als Orientierungshilfe bei der Abgabe von Sammlungsgut dienen soll. (http://www.museumsassociation.org/collections/disposal-toolkit )

 

Claudia Hermann , Kuratorin der Sammlung Schienenverkehr und Leiterin des Dokumentationszentrums am Verkehrshaus in Luzern brachte die Schweizer Erfahrungen im Sammlungsmanagement in die Diskussion mit ein. Die besondere Sorgfaltspflicht beim Sammeln und Ent-Sammeln war ihr ein großes Anliegen. Das Abgeben von Deposita, die nicht der Sammlungsstrategie entsprechen, das Abstoßen von Dubletten oder Objekten ohne eigenen Sammlungsbezug oder kulturhistorischen Wert kann einen stringenteren Sammlungsaufbau ermöglichen. Auch Claudia Hermann unterstreicht jedoch bei diesem Vorhaben die Wichtigkeit transparenter Bewertungskriterien nach internationalen Standards.

 

Nach der Mittagspause wurde die anspruchsvolle Diskussion mit Praxisbeispielen aus der österreichischen Museumslandschaft fortgesetzt.

 

Helmut Lackner, Historiker und wissenschaftlicher Stellvertreter der Geschäftsführung im Technischen Museum Wien war federführend bei der Wiedereinrichtung des Museums und der Eröffnung im Jahre 1999 tätig und ist heute für die Depots im Technischen Museum verantwortlich. In seinem Bericht über die bisherige Praxis des Entsammelns im Technischen Museum Wien wies er im Besonderen auch auf die Gefahren hin, die von Sammlungsobjekten ausgehen können. Denn neben dem Verlust der materiellen Substanz (das Objekt ist irreparabel zerstört) bzw. der wissenschaftlichen Dokumentation (das Objekt ist nicht mehr identifizierbar) kann das Objekt auch eine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellen (ausgewählte Chemikalien, Batterien, erhöhte Strahlenwerte, Asbest, Quecksilber …). Auch die Rückführung menschlicher Überreste oder die Restitution eines auf ungesetzliche Weise erworben Objektes (Provenienz!)können Gründe für die Abgabe von Sammlungsgut sein.

 

Dass Entsammeln aber durchaus auch zu größerem Platzbedarf führen kann, erläuterten die Restauratoren Patrick Werkner  und René Schober bei der Präsentation der Forschungsergebnisse im Rahmen eines Deakzessionsprojektes der Universität für angewandte Kunst Wien in der Kunstsammlung und im Archiv der Universität (http://sammlung.dieangewandte.at). Die hoch frequentierte Forschungssammlung, die mit rund 60.000 Objekten in der Kunst- und Designsammlung Werke aus allen Sparten der bildenden und angewandten Kunst zeigt, versteht sich insbesondere auch als Sammlung zur Dokumentation der kreativen Arbeit der Absolvent/-innen und Lehrenden. Als Leihgeberin stellt die Sammlung jährlich hunderte Leihgaben an internationale und österreichische Ausstellungen zur Verfügung. Im Rahmen des Projektes wurde eine Konservatorische Bestandsaufnahme, Sicherung und Umlagerung von Objekten vorgenommen, bei der auch „vergessene Schätze“ gehoben werden konnten. Mit dem Museum für Angewandte Kunst (MAK) wird bereits eine Tauschaktion von Mehrfachexemplaren vorbereitet, was zu einer Verschlankung der Sammlung führen wird. Durch die Evaluierung konnte der Forschungsstand erheblich verbessert werden. Diese neuen Erkenntnisse werden in Ausstellungen und Publikationen präsentiert und sind somit ein Gewinn für die Öffentlichkeit.

 

 

Den Abschluss machte Ulrike Vitovec , Geschäftsführerin Museumsmanagement Niederösterreich, die sich mit den Entsammlungs-Strategien der niederösterreichischen Regionalmuseen auseinandersetzte. Mit dem Projekt „Schätze ins Schaufenster – Qualitätsoffensive Museumsdepots“, das 2013 startete und noch bis 2016 läuft, initiierte Sie eine intensive Auseinandersetzung mit den, für Besucher/-innen normalerweise nicht zugänglichen Räumen „hinter den Kulissen“ eines Museums. Ziel ist eine vollständige Inventaraufnahme und eine fachgerechte Einrichtung des Museumsdepots zu erarbeiten durch die Förderung des Landes Niederösterreich ist es möglich, Depoträume zu revitalisieren und Schaudepots für Besucher/-innen einzurichten. Fachkundig begleitet  wird die Aktion vom Institut für Konservierung und Restaurierung der Universität für angewandte Kunst in Wien.

 

Abschließender Höhepunkt der Veranstaltung war die – von ICOM Österreich gemeinsam mit dem Österreichischen Museumsbund – veranstaltete Podiumsdiskussion zum gerade höchst aktuellen Thema „Öffentliches versus Privates Sammeln – mit der Causa Sammlung Essl als Fallbeispiel.“

 

 

Wie schnell – besonders bei privaten Sammlungen - aus einer, strengen Regeln zum Schutz der Kulturgüter folgenden Deakzession auch ein Ausverkauf von Sammlungsgut werden kann, diskutierte im Anschluss an das Seminar eine hochkarätig besetzte Runde aus österreichischen Museumsexpert/-innen. Unter der Moderation von Thomas Trenkler (Kulturredakteur, Der Standard) nahmen Carl Aigner, (Künstlerischer Leiter, Landesmuseum Niederösterreich, Vizepräsident ICOM Österreich), Sabine Folie (Kunsthistorikerin und Kuratorin), Otto Hochreiter (Direktor, Graz Museum, Kassier ICOM Österreich), Danielle Spera (Direktorin, Jüdisches Museum Wien, Präsidentin ICOM Österreich), Stella Rollig (Direktorin, Lentos Kunstmuseum Linz) , Wolfgang Muchitsch (Geschäftsführer, Universalmuseum Joanneum, Präsident Österreichischer Museumsbund) und Peter Weinhäupl (Kaufmännischer Direktor, Leopold Museum)am Podium Platz.

 

Aktueller Anlass war die Anfang April heiß diskutierte Causa Essl: Denn die Auflösung der bedeutenden Sammlung österreichischer Gegenwartskunst von Karlheinz und Agnes Essl, die im eigens dafür in Klosterneuburg errichteten Museumsbau präsentiert wird, zeigte die Aktualität ungelöster Fragen im Bereich privater Deakzession. Nachdem die Republik Österreich einen Ankauf abgelehnt hat, werden die Bestände der Sammlung nun bewertet: dem Vernehmen nach, schätzt das Londoner Auktionshaus Sotheby's die internationalen Kaliber – etwa 1700 Kunstwerke - ein und das Wiener Dorotheum die verbleibenden 3200 Werke österreichischer Künstler. Die Verkaufserträge sollen dann zur Rettung des Baumax Konzerns beitragen. Angesichts der rigorosen Sparmaßnahmen und stetig sinkender Ankaufsbudgets mit denen die österreichischen Museen zu kämpfen haben, wäre ein Ankauf der privaten Sammlung nur schwer zu rechtfertigen gewesen. Doch dürfen Finanzinteressen des Kunstmarktes eine Rolle bei der Weiterentwicklung der öffentlichen Museumslandschaft spielen und inwieweit wirkt sich der Sparzwang auch auf öffentliche Sammlungen aus? ICOM Österreich Präsidentin  und Direktorin des Jüdischen Museums Wien Danielle Spera strich in ihrem Diskussionsbeitrag die Bedeutung von ICOM als international anerkannter Organisation mit außerordentlicher Expertise im Museumsbereich hervor. „ICOM Österreich muss in solchen Diskussionen von der Politik als Experte mit einbezogen werden. Mit über 1,200 Mitgliedern ist ICOM die größte Organisation der Museen und Museumsfachleute in Österreich und kann als Teilorganisation des weltweiten Verbandes ICOM (International Council of Museums) auch auf internationale Erfahrungen zurückgreifen.“

 

Eingehend wurde von Carl Aigner, Otto Hochreiter, Sabine Folie  und Peter Weinhäupl auch die Rolle privater Sammler diskutiert. Einzelpersonen entscheiden beim Ankauf von Sammlungsobjekten eher nach ihrem persönlichen Geschmack und müssen sich nicht so sehr an einer klaren Sammlungsstrategie orientieren, wie sie in öffentliche Sammlungen angewandt wird. Natürlich können durch diese Freiräume auch zeitgenössische Künstler oft besser gefördert werden und auch längerfristig bedeutende Bestände aufgebaut werden Der Kurator und Museumsexperte Dieter Bogner meldete sich dazu aus dem Publikum zu Wort und forderte eine massive Verbesserung bei der steuerlichen Absetzbarkeit von Kunstankäufen. Große öffentliche Sammlungen sind allerdings anderen Aufgaben verpflichtet, wie Stella Rollig und Wolfgang Muchitsch betonen. Sie haben die große Verantwortung ihre Sammlungen zum Schutz unser aller natürlichen, kulturellen und wissenschaftlichen Erbes zu erhalten und weiter zu entwickeln. Die in den Museen verwahrten Objekte werden durch Ausstellungen und Publikationen der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. So sind Museen nicht nur Bewahrer unseres geschichtlichen Erbes, sondern auch lebendige, erlebnisreiche Orte für die Besucher/innen.

 

ICOM Österreich hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Diskurs weiter zu führen. An der Publikation eines Tagungsbandes zum Seminar wird gerade gearbeitet.