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Neue Welten – Sharing Stories!

23.03.2015

Ein Container des Weltmuseums Wien im öffentlichen Raum Wiens.

 

Am 9. April 2015 startet gemeinsam mit dem Kooperationspartner Brunnenpassage am Yppenplatz das Projekt Neue Welten – Sharing Stories. Ein Container bzw. ein Neue Welten-Corner im Veranstaltungsraum der Brunnenpassage werden zu Orten von Erzählungen, wo Menschen für sie wichtige Gegenstände mitbringen und dazu eine Geschichte erzählen.

 

Nach Jahren der Teilschließung ist nun für das Weltmuseum Wien der Startschuss für eine Neuausrichtung gefallen. Bis zur großen Neueröffnung im Herbst 2017 wird das Museum allerdings geschlossen sein. Aus diesem Grund wurde eine Reihe von Outreach-Maßnahmen gestartet, durch die das Weltmuseum Wien im öffentlichen Raum präsent sein wird. „Wenn die Menschen nicht zu uns kommen können, so müssen wir eben alles tun, um sie trotzdem für unsere Themen zu interessieren und sie zu berühren  - damit die Neugier auf einen späteren Besuch des neuen Hauses und unsere museale Arbeit geweckt wird“, erläutert Nikolaus Putnik, Leiter Marketing und Kommunikation. Eine dieser Maßnahmen ist das Projekt Neue Welten – Sharing Stories!

 

Sharing Stories

„Durch ein partizipatives Geschichtenerzähl-Experiment involvieren wir eine breite Öffentlichkeit in die kritische Debatte zum Gebrauch des Begriffs Kultur. Damit sollen die sozialen und politischen Beziehungen gestärkt und verbessert werden“, umreißen Karin Schneider und Tal Adler, Co-Kuratoren des Projekts, die Zielsetzung. Dreh- und Angelpunkt ist, speziell in der Kooperation mit der Brunnenpassage, der Neue Welten-Corner im Veranstaltungsraum der Brunnenpassage. Später, bei den weiteren Kooperationspartnern, wird sich alles in einem Container abspielen. Neue Welten-Corner bzw. Neue Welten-Container sind Orte der Begegnung. Menschen werden eingeladen, dorthin einen für sie bedeutsamen Gegenstand mitzubringen und die passende Geschichte dazu zu erzählen. Die Auswahl kann sich darauf beziehen, was die Besitzerin/der Besitzer selbst unter Kultur versteht, kann aber auch etwas mit der eigenen Geschichte zu tun haben, mit dem eigenen Alltag, dem eigenen Lebenshintergrund und den jeweiligen Überzeugungen. Im Laufe des Projekts entsteht somit ein digitales Archiv an Objekten und Geschichten. Eine Auswahl von Gegenständen und Geschichten wird darüber hinaus mehrschichtig dokumentiert: als Audio-Datei, als transkribierter Text, als Video-Interview, als Hologramm, als Bestandteil einer Publikation. Anschließend werden diese Geschichten mit der Öffentlichkeit (über Social Media und die Website www.weltmuseumwien.at/NeueWelten) sowie mit ExpertInnen aus diversen Disziplinen geteilt, um neue Perspektiven zu erschließen.

 

Story Telling und Multiperspektivität

Es ist schwierig, den Begriff Kultur unabhängig von seinen historischen und politischen Auswirkungen zu verwenden, und ebenso schwierig ist es, in diesem Zusammenhang das Wort Kultur zu vermeiden. Jedes Mal, wenn wir diesen Begriff benützen, geraten wir jedoch in die Versuchung, Dichotomien („wir“ und „die anderen“), Hierarchien („Hochkultur“ vs. „primitive Kultur“) und damit tendenziell rassistische Konzepte (die einen sind ganz anders als die anderen und vielleicht sogar besser) zu festigen. „Daher wollen wir genauer auf die Praxis des Geschichten-Erzählens (Story Telling) schauen, um tatsächlich zu verstehen, wie wir den Begriff Kultur verwenden. Ein auf diese Weise entstehender Prozess des gemeinsamen Verlernens bzw. neu Lernens kann zu einem tieferen Verständnis unserer sozialen und politischen Beziehungen führen“, meint Jani Kuhnt-Saptodewo, Co-Kuratorin des Projekts. „Neben dem Story Telling“, ergänzt die Co-Kuratorin Claudia Augustat, „ist es ebenso wichtig, der Multiperspektivität genügend Raum zu geben. So ist die Geschichte, die jemand über das von ihm mitgebrachte Objekt erzählt, eine Form der Wahrnehmung. Wir fragen aber auch ExpertInnen und ForscherInnen, was diese Objekte für sie bedeuten. So fügen wir zu demselben Objekt jeweils andere Aspekte hinzu, zum Beispiel des Materials, des Designs, der Geschichte, der alltäglichen Verwendung eines solchen Gegenstandes durch andere Gruppen oder Einzelpersonen. Geschichten zu erzählen und dabei viele Perspektiven zu berücksichtigen, ist auch in der anthropologisch-musealen Praxis von großer Bedeutung.“

 

Der museale Hintergrund

Durch die Aufnahme in eine Museumssammlung erfahren Gegenstände einen Bedeutungswandel. Ihre Deutung wird nunmehr durch das Museum vorgegeben. Dabei spielt es auch eine Rolle, um welchen Museumstyp es sich handelt, welche Geschichte das Museum selbst mit sich führt, welche wissenschaftliche Ausrichtung es heute besitzt und an welche BesucherInnengruppen es sich wendet. In der traditionellen Arbeitsweise ethnologischer Museen dienten Objekte vorrangig als Repräsentanten ihrer Ursprungskultur. Die zentrale Aufgabe eines Objektes bestand also darin, etwas über die Herkunftskultur zu erzählen. Dabei traten andere Geschichten, die in ihrem ursprünglichen Kontext von größerer Bedeutung waren, in den Hintergrund und wurden nicht dokumentiert oder vermittelt. So haben viele Objekte bestimmten Personen gehört und waren wohl mit persönlichen Erinnerungen verknüpft, die uns heute nicht mehr bekannt sind. Gegenstände konnten auch mit historischen Ereignissen verbunden sein, die in der ethnologischen Arbeitsweise häufig ausgeblendet wurden. Eine der Geschichten, die diese Museen oft nicht erzählt haben, ist jene rund um den Transfer der Objekte nach Europa: Wer war in diesen Transfer involviert? Wurde das Objekt gekauft, gestohlen, getauscht, geschenkt? Warum wurde es überhaupt gesammelt oder weggegeben? War es im Vergleich zu anderen Dingen herausragend oder eines von vielen gleichen gewesen? Jede Antwort auf diese zahlreichen Fragen eröffnet bei der Betrachtung des Objektes einen neuen Blickwinkel und erzählt eine andere Geschichte. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Arbeitsweise ethnologischer Museen markant verändert. Wir betrachten heute die Dinge nicht mehr eindimensional und wollen die Vielschichtigkeit von Bedeutungen in den Vordergrund stellen. Diese ergibt sich durch die jeweilige Perspektive, aus der man einen Gegenstand betrachtet, und aus den unterschiedlichen Assoziationen, die verschiedene Menschen mit einem Objekt verbinden können. Durch Archivforschung z. B. versuchen wir, Splitter der vergessenen Objektgeschichte zu rekonstruieren. Besonders wichtig ist es für uns, Stimmen aus der Herkunftsgesellschaft mit einzubeziehen, um die Objekte wieder mit manchen der verloren gegangenen Bedeutungen und Geschichten in einen Zusammenhang zu bringen. Menschen, deren kulturelles Erbe sich in unseren Sammlungen findet, leben heute auch in unserer unmittelbaren Umgebung. Dies verbindet die Dinge mit konkreten Lebenszusammenhängen in unserem Land und erweitert ihren Bedeutungsgehalt. Vor diesem Hintergrund besteht eine enge Verknüpfung zwischen der zeitgemäßen musealen Praxis im Weltmuseum Wien und dem Projekt Neue Welten ‒ eine Verknüpfung, die 2017 in einer Sonderausstellung ihren Ausdruck finden wird.

 

Die Kooperation mit der Brunnenpassage

Vom 09. April bis Ende Juni 2015 hat das Projekt Neue Welten-Sharing Stories seine erste Station in der Brunnenpassage. Die Brunnenpassage stellt ihre Expertise in Kunst- und Kulturarbeit zur Verfügung. Sie wird als Labor für die Arbeitspraxis und als Anknüpfungspunkt an die Bevölkerung vor Ort verstanden. Durch diese Kooperation sollen Menschen erreicht werden, die die Diversität der Einwohner_innen Wiens widerspiegeln. Ab April sind Nachbar_innen und Interessierte jeden Donnerstag und Freitag eingeladen, Objekte und Geschichten zu teilen. Während donnerstags Veranstaltungen geplant sind, um Besucher_innen für das Projekt Neue Welten zu interessieren, werden an den Freitagen Interviews mit Menschen geführt, die ein persönliches Objekt und die dazugehörige Geschichte mitbringen.

 

Neue Welten ist eng mit einem parallel startenden Fotoprojekt in der Brunnenpassage verknüpft: Da.Sein

Das Sammeln findet in dieser besonderen Kulisse statt. Fotograf Rene Huemer und Künstler Klaus Ludwig Kerstinger stellen Geschichten von sieben Menschen vor. Welche besonderen Gegenstände nehmen Menschen mit, wenn sie fortgehen und ein neues Leben in einer fremden Stadt beginnen, die sie an das Zurückgelassene erinnern? Wann kommen Menschen gefühlsmäßig in einer neuen Umgebung an - oder sind manche von ihnen noch auf dem Weg? Welche Orte dienen den porträtierten Personen als Symbol des Ankommens und Daseins?

 

Weitere Kooperationen sind in Planung, z. B. mit ImpulsTanz im Juli/August 2015.

 

Laufend mehr darüber hier: www.neue-welten.at