Genug gewartet…

Genug gewartet…

Artikel in "Stellwand" 02/2017 / MUSIS.

Von Wencke Maderbacher

 

 

Sind Museen Gefangene ihrer traditionellen Rollen und althergebrachten Abläufen, Methoden und Zielgruppenarbeit? Wie divers sind unsere Vermittlungsteams und unser Publikum? Wen sprechen unsere Programme tatsächlich an? Sind wir bei unseren Konzept- & Projektentwicklungen, bei unserer Vermittlungsarbeit und Zielgruppenforschung kritisch genug? Erreichen wir tatsächlich die Gesellschaft oder nur wieder unser schon vertrautes Publikum? Betreiben wir eine Nabelschau aus dem Elfenbeinturm?

 

Es reicht nicht schicke i-pads zu montieren und zu hoffen damit die Jugend anzusprechen. Es reicht nicht eine Gruppe ausgewählter MigrantInnen zu aktivieren und sich damit „Inklusion“ auf die Fahnen zu heften. Wir müssen schon mehr tun.

 

Doch meist warten wir und zaudern. Wir halten unsere Führungen und Workshops mit schicken Titeln und malen im Atelier zur Ausstellung oder laden zum Museumsbrunch, je nach Zielgruppe. So wie wir es viele Jahre schon gemacht haben. Können wir uns dieses Abwarten wirklich leisten? Jährlich schließen einige Museen. Weil sie nicht mehr gefördert werden, weil kein Geld für die Renovierung aufgebracht werden kann, weil die Kosten nicht mehr getragen werden, und manche auch, weil zu wenig zahlendes Publikum kommt. Es folgt ein kurzer Aufschrei, dann Stille – bis das nächste Haus schließt oder zu schließen droht und das Ganze von vorne beginnt.

 

Aber wir überlegen und zögern. Unser Museum sperrt noch nicht zu; für die nächsten zwei Jahre sind die Finanzmittel noch sicher und die Förderungen zugesagt. Es werden die Abgänge nicht mehr nachbesetzt, anstelle dessen gibt es nun unbezahlte Praktika und die Aufgaben für die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen werden weiter ausgebaut. Von Festanstellungen rücken wir noch weiter weg. So ist das eben nun in allen Häusern. Können wir wirklich noch abwarten? Hat das alles nichts mit unseren eigenen Handlungen zu tun?

 

Museen haben einen gesellschaftlichen Auftrag und die Kulturvermittlung ist hier in einer ganz besonderen Schlüsselfunktion, zwischen den Schätzen, den bewahrten Kulturen und Geschichten und dem hier und jetzt und heute. Das Weltgeschehen außerhalb unserer Museumswände geht uns nicht erst ab dem Feierabend etwas an, wenn wir mit Freunden und Familien erschrocken die Nachrichten sehen und diskutieren. Inzwischen regiert Präsident Trump die USA und sorgt mit seinen Aktionen und Meldungen mehrmals wöchentlich für Entsetzen. Brexit erschüttert Europa, und Europa diskutiert. Identitäre Bewegungen und erstarkte Fremdenfeindlichkeit lassen uns bei jeder Wahl zittern, welche Auswirkungen der Wahlausgang auf unsere Zukunft und unser Zusammenleben hat.

 

Nein, innerhalb des Museums und durch das Museum sind wir in der Position Menschen zusammen zu bringen. Gemeinschaften zu stärken, internationale Freundschaften und Zusammenarbeit zu fördern, Vielfalt sichtbar und selbstverständlich zu machen. Wenn die Gesellschaft sich nicht mit unseren Inhalten identifizieren kann, wenn die Bevölkerung keinen Kopf für unsere Ausstellungen hat, dann kommen die Menschen nicht mehr in unsere Häuser. Dieses Jahr nicht, und nächstes Jahr nicht und übernächstes Jahr gibt es unser Museum vielleicht nicht mehr. Wenn wir weiterhin hauptsächlich Programm für schon bestehendes museumsaffines Publikum und deren Nachwuchs bieten, werden mehr und mehr Posten nicht nachbesetzt und Museen geschlossen. Wenn wir nicht weitere Wege finden, an die Gesellschaft anzuknüpfen, werden wir bald nur noch Programm für uns selbst machen. Und der Aufschrei falls unser Museum schließt wird ebenfalls ein kurzer sein, und nur von wenigen getragen, falls wir es nicht schaffen eine breite Masse für unsere Inhalte zu interessieren und relevant zu machen.

 

Jetzt klopft sich wahrscheinlich fast jede/r gerade stolz auf die Schulter, und denkt: ha, wir haben aber letztes Jahr mit einer Gruppe Migrantinnen dieses erfolgreiche Projekt gemacht. Unser Museum hat sich engagiert! Solche Projekte sind wichtig, aber das ist nur ein erster kleiner Schritt. Solange es nur einzelne alleinstehende Projekte mit ausgewählten kleinen Gruppen bleiben, reicht das nicht. Wo sind die Menschen, die Europa abwählen, und sich vor dem Fremden und dem Morgen fürchten? Die müssen wir erreichen und zusammenbringen. Und das erreichen wir nicht mit isolierten, kleinen Aktionen. Diese Bestrebungen müssen fundamental in unserer Vermittlungsarbeit und im Museumsprogramm wiederzufinden sein und in jeder einzelnen Vermittlung mitschwingen.

 

 

Ein Beispiel wie politischer Aktivismus im Museum funktionieren kann, zeigt die Ausstellung „No Man is an Island – The Satanic Verses“ des AROS Museum in Aarhus. Kritisch wird unserer Gesellschaft ein Spiegel vorgehalten, endlose Wandtexte listen insolvente Banken auf und Ron Mueck’s Boy blickt ängstlich in die Zukunft. „Wir müssen wagen, uns zu äußern und wagen, verschiedene Meinungen zu haben. Wir dürfen nicht passiv annehmen, sondern müssen aktiv beitragen”, erklärt AROS-Direktor Erlend G. Høyersten. Es ist eine Ausstellung, die uns zum Nachdenken über die Gegenwart und unser Gegenüber herausfordert. Die Ausstellung lenkt unsere Aufmerksamkeit u. a. auf das Recht, unterschiedliche Meinungen zu haben, auf ein Europa in Bewegung und die Herausforderungen, denen wir in Bezug auf unser Weltbild und unsere Werte täglich begegnen.
Die übeschlagenden Weltgeschehnisse haben sich bereits deutlich in den Themen und Inhalten der nationalen und internationalen Museumskonferenzen niedergeschlagen.

 

 

Bei der ICOM General Conference in Mailand im Juli 2016 widmete sich das Abschluss-Panel dem Thema Migration und der sozialen Verantwortung von Museen. Giusi Nicolini, die Bürgermeisterin von Lampedusa und Linosa, bewegte mit ihren Worten über die Geschichte der Insel Lampedusa, welche schon immer wie ein Schiff zwischen zwei Kontinenten schwamm und Menschen verband. Eine Diskussionsplattform zu bieten und Gruppen zusammenzuführen, die womöglich anders nicht aufeinander treffen würden, ist eine wichtige Rolle der Museen und Kultureinrichtungen beim Thema Migration. David Fleming, Direktor des National Museums Liverpool und Präsident der Federation of International Human Rights Museums, United Kingdom, erinnerte, dass Museen die Möglichkeit haben Leben zu verändern und die Aufgabe zu sozialer Gerechtigkeit und Chancengleichheit in der Gesellschaft beizutragen.