ICOM Kyoto 2019 - Ein Erfahrungsbericht von Martina Zerovnik

ICOM Kyoto 2019 - Ein Erfahrungsbericht von Martina Zerovnik

ICOM Österreich - International Scholarship

 

ICOM Kyoto 2019
Museums as Cultural Hubs: The Future of Tradition
Ein Erfahrungsbericht von Martina Zerovnik

 

International Conference Center of Kyoto (ICC)

 

Die 25. Generalkonferenz des International Council of Museums fand von 1. bis 7. September 2019 in Kyoto statt. Rund um das Hauptthema „Museums as Cultural Hubs: The Future of Tradition” war ein Programm mit einer Vielzahl von Vorträgen, Workshops und Rahmenveranstaltungen zusammengestellt worden, welche die musealen Tätigkeitsfelder des Sammelns, Bewahrens, der Vermittlung, Forschung und des Ausstellens nicht nur in den internationalen Kontext stellten. Das Gros der Beiträge war auch geleitet von dem Diskurs über die steigende Komplexität der gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse einer globalisierten Zeitgenossenschaft, die weitreichende Veränderungen der Museumsleitbilder und der Relevanz von Museumsarbeit mit sich bringt. Zum einen erwuchs daraus die Frage nach der kritischen Kraft von Museen und der Verantwortung, die aus der eigenen institutionellen Geschichte erwächst, ganz besonders im Umgang mit kolonialistischen Sammlungsgenealogien oder (diskriminierenden) hegemonialen Perspektiven einer kulturellen Machtinstanz auf Minderheiten, Randgruppen, auf Andersheit, Fremdheit etc. Zum anderen wurde das gesellschaftsbildende Potential von Museen thematisiert und ihr Beitrag zu einer demokratischen Gemeinschaft, ihre Reaktion auf (Natur- und humanitäre) Katastrophen und ihr ökonomischer wie ökologischer Umgang mit materiellen und ideellen Ressourcen diskutiert. Nicht zuletzt bei dem von ICOM Austria veranstalteten Palmyra-Talk stand die globale Verantwortung für kulturelles Erbe im Mittelpunkt. Carlo Rindi präsentierte das „Circulating Artefacts Project” des British Museum, das eine Online-Plattform gegen den illegalen Handel mit antiken Gegenständen initiiert hat.

 

Carlo Rindi präsentiert das „Circulating Artefacts Project”, Palmyra Talk, ICOM Austria

 

Mein Vortrag mit dem Titel „Museum as Safe Space“, den ich in einem Panel der CAMOC halten konnte, nahm die im Frühjahr 2019 im GrazMuseum realisierte Ausstellung ganz normal anders zum Anlass, den institutionellen und gesellschaftlichen Status von Museen zu reflektieren. Die Ausstellung zum 30. Jahrestag des für Menschenrechte, Diversität und den Kampf für die Gleichberechtigung von LGBTQ-Personen stehenden Grazer Tuntenballs nahm das dem Ball immanente Spannungsfeld zwischen Privatheit und Öffentlichkeit konzeptionell und auch räumlich auf. Das GrazMuseum verfügt über ein „offenes Foyer“, das gewissermaßen direkt von der Straße durch mehrere (an warmen Tagen offenstehende) Türen frei zugänglich ist, sodass es als Verlängerung des öffentlichen Raums in den Museumsraum fungiert. Hinter diesem liegt ein Ausstellungsraum, der durch eine Glasscheibe zwar sichtbar, aber nur über das Kassafoyer, die institutionelle Schwelle, zu betreten ist und damit einen gesicherten Bereich bietet, einen safe space. Davon ausgehend handelte mein Beitrag von der Eigentümlichkeit der Museen, öffentliche Institutionen zu sein, die private Räume mit spezifischen Qualitäten für die Öffentlichkeit bereitstellen, in denen bestimmte Regeln und Notwendigkeiten des demokratischen Miteinanders herrschen, um Freiräume für diverse, auch unkonventionelle und unbequeme, Menschen, Objekte und Themen zu bieten. Inwieweit sind Museen „safe spaces for unsafe ideas“, wie es Elaine Heumann Gurian ausdrückt? Eine Frage, die nicht zuletzt aufgrund des akuten Bedarfs an Diskussionskultur vs. hate speech und an historischer Kompetenz vs. fake news eine neue Gewichtung erhält.

 

CAMOC-Führung durch das Kyoto Museum

 

Der gesamte Kongress war getragen von dem Gedanken, dass Museen ein besonderer gesellschaftlicher Status zukommt, aus dem sich nicht nur eine große Verantwortung im Umgang mit Objekten und Inhalten, sondern auch im Umgang mit Menschen ableitet. Kritische Selbstbefra-gung hinsichtlich des eigenen Standpunktes, der eigenen Arbeit und der Rolle in der Gesellschaft sind Kennzeichen eines zeitgemäßen Museumsethos. Museen arbeiten daran Drehscheiben zu sein, worunter gleichermaßen kulturelle Kompetenz wie gesellschaftliche Relevanz verstanden werden kann. Wie das in unserer heutigen Zeit mit ihren spezifischen Herausforderungen gelingen kann, war Gegenstand vieler Diskussionen. Einigkeit bestand darin, dass Museen eine klare Haltung einnehmen, aber auch beweglich bleiben müssen, um auf Entwicklungen reagieren und sich gegebenenfalls erneuern zu können. So war das große Thema der Generalkonferenz der Vorschlag für die neue ICOM-Museumsdefinition. Gleich einer Generationenfrage schienen Argumente für Kontinuität und die genealogische Weitergabe von Wissen gegen den Wunsch nach Zeitgenossenschaft, Visionen und Erneuerung zu stehen – noch unvereinbar, denn die Abstimmung über die neue Museumsdefinition wurde vertagt.

 

Japan, ein Land, das für die Vereinbarkeit und harmonische Auflösung von (scheinbaren) Gegensätzen bekannt ist, bot dafür eine fast beispielhafte Umgebung. Das Kyoto International Conference Center ist ein brutalistisch anmutender Bau des japanischen Architekten Sachio Ōtani, der formal Elemente historischer Schrein- und Palastanlagen aufgreift. Die monumentale Architektur thront in einer feinkomponierten Gartenanlage, wodurch sich die Ausdruckskraft der zwei zwar gegensätzlichen, aber kommunizierenden Gestalten gegenseitig potenziert. Allein dieser Konferenzort wirkte wie eine formgewordene Metapher für das Spannungsfeld von Natur, Kultur und Technik, das auf der Konferenz mit einer Reihe von ökologischen Schwer-punktsetzungen diskutiert wurde – ganz abgesehen davon, dass in dem Gebäude 1997 das Kyoto Protokoll unterzeichnet wurde.

 

Die Gastgeberinnen und Gastgeber präsentierten im Rahmenprogramm vor allem traditionelle japanische Kunst- und Kulturpraktiken: beginnend mit der Eröffnungszeremonie in Form der Aufführung eines Noh-Stückes und eines Fächertanzes über Workshops für Teezeremonie oder Papierherstellung bis hin zum Besuch von Burg- und Tempelanlagen. Zumindest in dieser Hinsicht wurde die Passage „Museums are not for profit. They are participatory and transparent, and work in active partnership with and for diverse communities to collect, preserve, research, interpret, exhibit, and enhance understandings of the world […]” der neuen Museumsdefinition ratifiziert. Durch den Einblick in die japanische Kultur, aber auch durch den kollegialen Austausch ist für die Konferenzteilnehmerinnen und -teilnehmer das Verständnis der Welt mit Sicherheit um ein gutes Stück gewachsen.

 

Martina Zerovnik
Chefkuratorin Ausstellungen
GrazMuseum
martina.zerovnik@stadt.graz.at